Eine meiner 16.384 Vorfahren war im Jahr 1475 mit dem Bürgermeister von Riga verheiratet. Das interessiert mich: Woher kam sie? Wie lebte sie? Wer war sie? Schreibend erkunde ich das.
Wieso so viele Vorfahren? Jeder Mensch hat zwei Eltern, vier Großeltern, acht Urgroßeltern – ob er sie kennengelernt hat, etwas von ihnen weiß, oder nicht. In der vierzehnten Generation sind das 8.192 Männer und 8.192 Frauen. Erzähle ich davon, so antworten meine Gesprächspartner, dass das Vergangene vergangen sei, mein Erbteil homöopathisch. Doch warum sollte ich keinen nennenswerten Erbteil von dieser Urmutter haben? War sie der Ursprung von Sommersprossen und roten Haaren, Sprachlust und meinem nie versiegenden Fernweh?
Woher nehmen wir unser Wissen? Woher weiß ich, was ich weiß? Es ist eine Melange aus Schulwissen, Romanen und Sachbüchern, Wissenschaft, Märchen, Filmen; alles miteinander vermischt, verkocht und gefiltert durch die unterschiedlich reinen Siebe meiner Person. Woraus bestehen meine Filter, frage ich mich? Sollte oder könnte ich sie ausspülen? Oder gibt es keine Filter, sondern stattdessen ein Spiegellabyrinth wie das in Prag, das ein Häuschen in Salons, Flure und Kathedralen verwandelt?
Unabhängig von meiner Suche fragen auch andere Menschen nach ihren Wurzeln. Junge Menschen fragen erstmals nach den analogen Fotos ihrer Vorfahren, die sie bisher nicht im Blick hatten, weil sie weder auf ihren Mobiltelefonen noch im Internet zu finden sind.
Husum 2024, Ihleo-Verlag
ISBN 978-3-96666-082-2

