„Umbständliche Beschreibung von denen Carnevals-Lustbarkeiten, so zu Dresden im Januar ihren Anfang genommen und biss in den Monat Februar continuieret“
Im 18. Jahrhundert galt Dresden als die nördlichste Faschingsstadt Deutschlands. Es bot die meisten Lustbarkeiten für die oberen Stände und war berühmt für die Hofbälle, die jedes Jahr vier bis sechs Wochen lang täglich in einem der Dresdner Schlösser und Palais mit märchenhaftem Pomp von tausenden Wachslichtern, Spiegeln, Kronleuchtern und 36 verschiedenen Speisen (ohne die Compotte) für über 1000 Gäste stattfanden. Außer den Bällen gab es Komödienaufführungen, Redoutenaufzüge der Herrschaften auf den Gassen, Maskeraden, Hazardspiele, Ritterspiele, Vogelschießen und Tourniere im Stallhof. Zu diesen Ereignissen reisten Herrschaften aus vielen ost- und mitteldeutschen Ländern und aus dem Ausland an.
Auch das Volk muss große Lust zu Verkleidung und Narretei gehabt haben. Das geht – bezeichnenderweise – aus den Polizeiaufrufen hervor, welche in alle Häuser verteilt wurden als Mahnung an die launigen Dresdner, und in denen ‚Ihro Koenigl. Majestaet jedweden Unterthanen alles Vergnuegen und Ergoetzlichkeit gerne goennen/ jedoch aber darbey die vormals verspührete Leichtfertigkeit verbothen haben wolte/ weswegen sich wohl Masquen/ als auch diejenigen, die sich nicht masquieret/ auff denen Strassen/ Gassen und oeffentlichen Plaetzen ruhig und stille zu halten/ kein Geschrey/ Gesaenge noch Lermen auff solchen zu machen/ oder mit Music herumzugehen/ … wiedrigenfalls durch die zur Ruhe und Sicherheit … geordneten Posten und Wachten … (täglich über 100 Mann Soldaten/ und 60 Mann von der Buergerschaft …) nicht aufgehalten/ auf die Hauptwacht gebracht/ und nach Befinden des Excesses exemplarisch bestrafft werden duerfften‘ [Der neuerscheinende Postillon, mit sich bringend allerhand Alte und Neue Inn- und Ausländische rare Curiositäten – Achzehntes Felleisen Anno 1722].
Da muss es bunt zugegangen sein, wenn die selbst faschingswütige Obrigkeit extra Soldaten zur Ordnung bestellt und so scharfe Verordnungen als Postwurfsendungen verteilt hat. Von diesen stürmischen Jahren zwischen 1720 und 1750 träumten die Dresdner noch 1910. Nicht, dass nichts los war in Dresden zur Faschingszeit! Immerhin gab es damals etwa 3000 Gaststätten in Dresden, und der ‚Dresdner Anzeiger‘ veröffentlichte mehrere Wochen lang täglich 15-20 Anzeigen von Faschingsveranstaltungen aller Art und aller Preislagen. Nicht gerechnet die unzähligen Anzeigen von Kostümverleihgeschäften, Maskengarderobe-Anfertigung, Ballseide-Verkäufen, Eintrittskartenverkäufen, Scherzartikeln usw. … die Zeitungsreporter berichteten nur wenig über die Veranstaltungen ihrer Zeit, diese schienen ihnen gering zu sein gegen jene von 1722 und folgenden Jahren. Was war dagegen schon ein Gauklerfest mit 4500 Teilnehmern, von denen ‚früh 3/4 6 noch 2000 mit Masken in der Narrenmühle und auf der Rutschbahn durch alle Etagen angetroffen wurden!‘ Was war dagegen der Presseball mit den Darbietungen des Rollschuh-Vereins, den mit ‚Rosen aus dem Süden‘ belebten Decken der sonst leeren Ausstellungssäle und den stillen Rosenlauben, die es den Pärchen erlaubten, sich zurückzuziehen [Salonblatt 1910]? …
Ein Herr aus Cotta erinnert sich an die Veranstaltungen, die es so im Jahr gab: Jedes Dorf (Stetzsch, Kemnitz, Niederwartha) hatte seinen Gasthof, jeder Stadtteil mehrere Säle. Dort war fast täglich Tanz, nicht nur am Wochenende. Zu allen Festen waren die Säle prachtvoll geschmückt, es gab Weihnachtstanz mit Kerzenbeleuchtung zu Weihnachtsliedern und natürlich Karneval … Der Zulauf war gewaltig, denn auch die besonderen Anlässe kosteten kein Geld. Der Eintritt war immer frei. Das Bier war billig, und nur für das Tanzen bezahlte man beim Tanzmeister. Der verkaufte Tanzmarken für alle Paare auf der Fläche oder farbige Bänder, mit denen im Knopfloch man den ganzen Abend tanzen durfte. War man arbeitslos oder unbemittelt, so sammelte man Bändchen und ‚kleidete‘ sich vor Beginn auf der Toilette in die Farbe des Abends. Ein kleiner Betrug sicherte jedem das Vergnügen. Befragt nach seinen bevorzugten Lokalen, weiß der Cottaer sofort viele zu nennen: Annen-Säle, Constantia, Baumgarten, Kümmelschänke, Veltemühle mit ‚Nudeltopp‘, Schusterhaus, Cristallpalast, Blumensäle, Grüne Wiese, Dessauer, Reichsschmied, Trianon-Säle, Linckesches Bad, Donaths Neue Welt (mit Alpenglühen) … unendlich lang und bunt war die Geschichte der Vergnügungen. Die ‚Bürgerlichen‘ bevorzugten das Dampfschiffhotel oder die Bälle der Villa Kaskade, das Hotel Belvedere auf der Brühlschen Terrasse oder den Weißen Adler auf dem Weißen Hirsch. …
Artikel im Dresdner Stadtmagazin SAX im Februar 1991

